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Historie


In den 60er Jahren – zur Zeit des Wirtschaftswunders und des Bildungsbooms – entstand der Plan, in Baden-Württemberg eine neue Universität zu gründen. Verschiedene Städte und Institutionen versuchten, die Landespolitik mit allen Mitteln davon zu überzeugen, dass ihre Stadt die richtige Stadt für die neue Universität wäre. Ulm erhielt schließlich den Zuschlag, unter anderem aber auch deshalb, weil man darlegen konnte, dass die Einrichtung einer Universität in Ulm relativ kostengünstig sei. Denn man brauchte keine neue Universitätsklinik. Die bestehenden Kreis- und städtischen Kliniken wurden kostengünstig zu Unikliniken umgewidmet, so z.B. die Frauenklinik am Michelsberg.

Irgendwann fiel in der medizinischen Fakultät dann auf, dass es für das Fach Psychiatrie in Ulm gar keine Klinik gab. Aber Geld, gerade für das Fach Psychiatrie ausgeben, wo es doch so viele andere Notwendigkeiten gibt? Die rettende Idee: Das Land hatte doch Psychiatrische Landeskrankenhäuser! Damit konnten gleichzeitig die Kosten für diese Klinik vom Wissenschaftsministerium  auf das Sozialministerium verlagert werden, denn das Sozialministerium war für die Psychiatrischen Landeskrankenhäuser zuständig.

Warum dann die Weissenau und nicht das viel näher gelegene Bad Schussenried oder Zwiefalten ausgewählt wurde, hing wahrscheinlich mit der damaligen personellen Besetzung zusammen. Herr Prof. Dr. Ederle hatte in Weissenau schon wissenschaftlich gearbeitet und den Boden bereitet und war gerade in den Ruhestand getreten. Vielleicht war die Sternstunde der Einrichtung der Universitätsklinik für Psychiatrie in Weissenau letztlich eine Aneinanderreihung von Zufällen.

Die Universität Ulm bekam so zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine Versorgungsklinik für das Fach Psychiatrie und beschritt damit im Gegensatz zu anderen, traditionellen Universitätskliniken einen innovativen und zukunftsweisenden Weg. In der Versorgungsklinik Weissenau wurden alle Patienten behandelt; auch schwierige und chronische Patienten, während die traditionellen Universitätskliniken nur selektiert bestimmte Patienten, die zu den jeweiligen  Forschungsinteressen passten, aufnahmen. Auswahlkriterien waren entweder bestimmte Diagnosen oder manchmal auch das Kriterium Privatpatient. Die Universitätskliniken beteiligten sich damals nicht an der Pflichtversorgung und waren damit für die Zukunftsaufgaben, die in den 70er und 80er Jahren auf die Psychiatrie zukamen, schlecht gerüstet.

Mit einem Versorgungskrankenhaus als psychiatrische Universitätsklinik hatte die Universität Ulm optimale Voraussetzungen für die Erprobung neuer Behandlungsmethoden und sozialpsychiatrischer Versorgungsmodelle und deren Beforschung und damit für die neuen Forschungsinhalte des Fachgebietes Psychiatrie. Die mit der Psychiatrie-Enquete 1975 ins Rollen gebrachte Reformbewegung der Psychiatrie konnte in Weissenau umgesetzt werden, während sie an vielen Universitätskliniken zunächst vorbeiging. Die Weissenau vernetzte sich mit komplementären Einrichtungen, bildete gemeindepsychiatrische Verbünde, entwickelte neue Modelle, wurde national zu einer renommierten Klinik - vielleicht nicht wegen, sondern trotz des Universitätsstatus in dieser Zeit.

Charakteristisch ist, wo die wichtigste Publikation, die die Weissenau hervorgebracht hat, veröffentlicht wurde: nicht im „Lancet“ oder im „Nervenarzt“, sondern im Magazin „Der Spiegel“. Der damalige Artikel von Herrn Prof. Dr. Günter Hole, in dem er „das Maul aufmachte“ und die schlechte Personalbesetzung in den Krankenhäusern beklagte, hat für die psychiatrische Versorgung mit der Bahnung des Wegs zur Psychiatrie-Personalverordnung mehr bewirkt als tausende Artikel zum Nutzen der Bildgebung bei schizophrenen Störungen.

Ob die medizinische Fakultät der Universität Ulm jemals verstanden hat, welche Perle sie mit der Weissenau im Schatzkästchen hat, bleibt zumindest zweifelhaft, wenn man die Unterlagen aus der damaligen Zeit sichtet. Und es ist schon ein Verdienst der Weissenau, dass trotz diverser bürokratischer Widrigkeiten bis heute zweimal im Jahr Studentenunterricht stattfindet, ein tolles Lehrprogramm für Studenten geboten wird, die ganze Klinik sich auf die Studenten freut, die ganze Klinik an Studentenfesten teilnimmt und dass dabei bis heute immer noch Fußball gespielt wird.

Was bedeutet es für die Weissenau, Universitätsklinikum zu sein?

In der ersten Phase unter Prof. Degkwitz 1967-1968 und unter Prof. Huber 1968 bis 1974 wohl zunächst eine Belastung. Der Ärztliche Direktor wurde zum Ordinarius in Ulm, wurde aber weder freigestellt noch befördert und erhielt auch keine zusätzlichen Mittel. Die Lehre bedeutete zusätzlichen Aufwand, für Forschung blieb wegen der Patientenversorgung nur begrenzt Zeit.

Mitte der 70er Jahre wurde das alles ein bisschen anders: Psychiatrie-Enquete, Psychiatrie-Reform, gesellschaftlicher Aufbruch, antiautoritäre Bewegung, AStA, Demokratisierung der Universität,  „unter den Talaren Muff aus tausend Jahren“. Die ehrwürdige Institution Universität erlebte ihre Krise und reformierte sich.  Herr Prof. Dr. Günther Hole wurde Ärztlicher Direktor. Alles wurde in Frage gestellt, es gab Marathondiskussionen - die ganze Nacht hindurch. Im nahen Italien wurde die herkömmliche Anstaltspsychiatrie einfach aufgelöst. Aber diese Aufbruchsstimmung bringt die Weissenau nach vorne: Erste Depressionsstation in Deutschland, Spezialisierung in den Zentren, Aufbau funktionierender gemeindepsy-chiatrischer Verbünde, Gründung von Hilfsvereinen, Enthospitalisierung, Psychiatrie-Personalverordnung mit einem großen Stellenzuwachs, junge und engagierte Menschen begeisterten sich für Psychiatrie und reformierten die Landesklinik. Viele kamen von der Uni Ulm.

Die Verbindung mit der Universität Ulm, der Universitätsstatus wurde zum mitentscheidenden Erfolgsfaktor: Keinem anderen PLK gelang es in diesem Umfang, die innovativen Köpfe für sich zu gewinnen; keinem anderen PLK gelang es, die neuen Ideen wissenschaftlich zu untermauern und zu verbreiten, und keinem anderen PLK gelang es. so in die Öffentlichkeit hinzuwirken und die Politik zu beeinflussen.

Diese wilde und stürmische Entwicklungsphase ist untrennbar mit dem Namen Günther Hole verbunden. Mit seiner Verabschiedung in den Ruhestand 1993 endete auch für die Weissenau eine Ära.

Ökonomisierung

1996 begann eine neue Phase in der Beziehung der Weissenau zur Universität Ulm. Dem Zeitgeist entsprechend, folgte den sozialromantischen Reformideen der 70er und 80er Jahre eine eher nüchterne Phase der Ökonomisierung. Das PLK wurde zur Anstalt öffentlichen Rechts und unter dem Ökonomen Wolfgang Rieger zum modernen Unternehmen. Im Mittelpunkt des neuen Denkens stand der Glaube, dass sich alles berechnen lässt, dass sich das Geschehen in einem psychiatrischen Krankenhaus im Controlling abbilden lässt und dass alles, was gezählt werden kann, auch optimiert werden kann. Dazu gehörte auch die These: Was nicht gezählt werden kann, existiert nicht.

Das Thema Kosten-Nutzen-Rechnung machte auch vor dem Universitätsstatus und der Forschung nicht Halt. Bildlich wurde die Universität und die Forschung von der Klinik getrennt und in einen „Elfenbeinturm“ verbannt- genauer in den Keller des K-Baus. Klinik, Krankenhaus, klinische Behandlung war etwas für „Macher“ und die brauchten keinen Professorentitel – schon gar nicht an der Spitze. Die starke Position des Ärztlichen Direktors, der die Klinik verantwortlich leitet und gleichzeitig das Fach Psychiatrie in der medizinischen Fakultät an der Universität Ulm als Professor vertritt, war zu Ende.

Forschung wurde unter Marketingaspekten, der Universitätsstatus unter Personalakquiseaspekten betrachtet - und dabei durchaus wertgeschätzt - , unterlag aber anderen Regeln. Die Ökonomisierung machte auch vor den Universitäten nicht Halt. Stichworte wie Drittmittelfinanzierung und Impact-Faktor wurden zum dominierenden Qualitätsmerkmal.

Die Weissenau behauptete sich auch unter diesen neuen Rahmenbedingungen. Der Forschungsbereich wurde ausgebaut, wurde eigener Geschäftsbereich, er differenzierte und behauptete sich im nationalen und internationalen Bereich im Fach Psychiatrie. Der Studentenunterricht in Weissenau gehört zu den besten, den die Universität Ulm ihren Studenten bieten kann und trotzdem bleibt die Wertschätzung der Universität Ulm für ihre Perle im Schatzkästchen begrenzt. Eine kritische Marke wird schließlich unterschritten, als die Universität Ulm im Rahmen der Nachfolgediskussion um Herrn Prof. Kaschka eine Strukturreform im Fachgebiet Psychiatrie anregt, die zur Folge gehabt hätte, dass die Weissenau ihren universitären Status verliert und das Fach Psychiatrie - das in den letzten 50 Jahren auch im Bereich der medizinischen Fakultät durchaus an Bedeutung gewonnen hat – in Ulm konzentriert wird. Es gelang aber, die Universität zu überzeugen, dass die Fortführung des Universitätsstatus für die Weissenau einen Gewinn für beide Seiten darstellt. 2017 wurde in einem neuen Vertrag mit der Universität Ulm die Zukunft der Weissenau als Universitätsklinik und Akademisches Krankenhaus gesichert. Unsere starke Präsenz in nahezu allen psychiatrischen Fachgremien, unsere aktive Rolle in der Psychiatriepolitik auf Bundes- und Landesebene, aber auch unsere innovativen Partnerschaften mit Krankenkassen und Industrieunternehmen in Fragen der psychischen Gesundheit verbunden mit dem Einwerben von Forschungsaufträgen und erheblicher Forschungsmittel waren starke Argumente, denen sich letztlich die Verantwortlichen der Universität nicht verschließen wollten.  

Kern der neuen Vereinbarung ist, dass
  1. die Weissenau als Akademisches Krankenhaus Klinik I für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm bleibt.
  2. die Weissenau weiterhin Aufgaben in Forschung und Lehre für die Universität Ulm erfüllt und Forschungsmittel der Universität erhält
  3. der Studentenunterricht weiterhin im bisherigen Umfang in Weissenau stattfindet und von der Universität finanziert wird
  4. die Universität Ulm die jeweiligen Ärztlichen Leitungen der Fachgebiete „Psychiatrie und Psychotherapie“ und „Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie“ der Weissenau als Honorarprofessoren oder –professorinnen bei Vorliegen der Voraussetzungen in die medizinische Fakultät beruft.

Auf Grundlage dieser neuen Vereinbarung wurde Prof. Dr. Tilman Steinert als amtierender Ärztlicher Direktor der Weissenau  zum Honorarprofessor der medizinischen Fakultät der Universität Ulm ernannt.

(nach einer Rede des Geschäftsführers Dr. Dieter Grupp anlässlich der Festschreibung des Universitätsstatus der Klinik Weissenau 2017)