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Vom 14. Juni bis zum 3. Oktober 2005 wurden im Württembergischen Psychiatriemuseum in einer Ausstellung eindrucksvolle Schwarzweissaufnahmen aus dem Jahr 1972 farbigen Fotos aus den Jahren 2004 und 2005 gegenübergestellt, die die Entwicklung der Psychiatrie in den letzten 30 Jahren beleuchten. Die Aufnahmen hat Rupert Leser gemacht, einer der bekanntes Bildchronisten Oberschwabens.
Rupert Leser hat 1972 einen Tag lang am Stationsalltag einer Männerstation teilgenommen, um die katastrophalen Verhältnisse im Psychiatrischen Landeskrankenhaus Bad Schussenried dokumentieren zu können. Den Auftrag hatte Professor Ernst Walter Fünfgeld erteilt, der als Ärztlicher Direktor gegen die Streichung zugesicherter Sanierungsmittel protestieren wollte. Es folgten tatsächlich zwei Aufsehen erregende Artikel in der Schwäbischen Zeitung, die mit den Bildern von Rupert Leser illustriert waren. Einer dieser Artikel erschien sogar als Fotoreportage in der Wochenendbeilage der Schwäbischen Zeitung „Zeit und Welt“ vom 25. März 1972. Der Journalist Fritz Schneider verglich darin die Verhältnisse in der Bad Schussenrieder Psychiatrie mit denen in einem Flüchtlingslager in Bangladesh oder einem Konzentrationslager.
Es kam am zu einer Anfrage im Landtag, in der Aufklärung über die Verhältnisse im Psychiatrischen Landeskrankenhaus verlangt wurde. Die Landesregierung versprach Verbesserungen, nicht nur in Schussenried, sondern auch in den anderen Landeskrankenhäusern.
Die Fotos aus dem Jahr 1972 zeigen eine völlig überfüllte Station, einen menschunwürdige Schlafsaal und die völlig unzureichende sanitäre Ausstattung. So standen den 49 Patienten nur zwei Toiletten zur Verfügung. Oft ohne Nachttischchen, ohne jede Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren, besaßen die Patienten gerade einmal ein Bett. Nach dem Abendessen gingen die meisten Patienten schon sehr früh zu Bett. Die Bekleidung musste abgegeben werden, damit keiner die Idee zu einer nächtlichen Flucht verwirklichte. Für über 60 Patienten im Akutbereich waren zwei Pfleger eingesetzt, die um 18 Uhr den Dienst begannen und um 7 Uhr morgens heimgingen. Die großen Stationen erforderten eine beinahe militärische Ablauforganisation. Ganze Gruppen von Patienten traten zum Rasieren zweimal die Woche an. Für die 450 männlichen Patienten gab es einen eigenen Pfleger, der vorwiegend die Rasur erledigte. Waschen, Einschäumen, Rasieren und Abtrocknen: 900 Mal die Woche. Bei schönem Wetter wurde die Prozedur vor das Haus verlegt.
Diesen Schwarzweißaufnahmen sind nun in der Ausstellung Farbfotos gegenübergestellt, die Rupert Leser 30 Jahre später aufgenommen hat. Sie zeigen die aktivierende Pflege im Abt-Siad-Haus, bei der die Patienten in ihren lebenspraktischen Tätigkeiten unterstützt werden, in der Arbeits- und Beschäftigungstherapie werden Kreativität und Strategien zur Bewältigung der psychischen Probleme gefördert, und Kunst-, Reit- und Bewegungstherapie werden eingesetzt, um die Patienten aus ihrer geschlossenen Welt zu holen. Die Ruheinseln sind gleich geblieben, so ist das Raucherzimmer einer der meistgenutzten Räume in jeder Wohngruppe. Die genussvolle Pfeife, auf der winterlichen Bank geraucht.
Ein großer Teil der „neuen“ Fotos aus der Psychiatrie sind in der Wohngruppe und der Arbeitstherapie in Bad Buchau und der Psychiatrischen Abteilung und der Tagesklinik im Gesundheitszentrum Ehingen entstanden. Das dokumentiert die Entwicklung zur gemeindenahen Versorgung in den letzten Jahren. Das Gemeinsame bei den neuen und alten Fotos sind aber die Geschichten, die in der Gegenüberstellung erzählt werden. So ist auf einem Schwarzweisfoto ein Patient bei der Morgentoilette abgebildet, der heute in einer Pflegefamilie im Allgäu lebt. Rupert Leser war bei seinem Fototermin ganz beeindruckt, wie gut die Integration in die Familie erfolgt. Das vermitteln die Bilder eindrucksvoll. Diese Bezüge zwischen den alten und neuen Fotos werden auch hergestellt durch die abgebildeten Pfleger und die Räumlichkeiten, denen man natürlich die Spuren der Zeit ansieht.